Rodrigo Leão hat sich als Musiker und Komponist über die Gernzen Portugals hinaus einen Namen gemacht. Zunächst in der Band Sétima Legião, anschließend als Teil des innovativen Projekts Madredeus. Als 1993 sein erstes Album unter eigenem Namen (Ave Mundi Luminar) erschien, wurde ihm sofort klar, dass er seine Musik mit der Welt teilen wollte. Diesem Drang gab er im Laufe seiner Karriere immer wieder nach und kann mittlerweile eine beachtliche Zahl an Alben, Soundtracks und Kooperationen mit großen Namen wie Ryuichi Sakamoto, Neil Hannon (Divine Comedy), Beth Gibbons (Portishead) oder Michelle Gurevich vorweisen.
Zweiunddreißig Jahre nach seinem Debüt als Solomusiker, kommt mit „O Rapaz da Montanha“ (Der Junge vom Berg) ein in vielen Belangen überraschendes Album: sowohl in musikalischer Hinsicht als auch in Bezug auf die Karriere des Komponisten. „Es war eine unerwartete Platte. Ich hatte sie drei Jahre lang im Kopf und habe sie sehr fokussiert aufgebaut, anders als bei meinen vorherigen Alben, bei denen die Komposition ohne eine bestimmte Zeit oder Absicht entstanden.“ „O Rapaz da Montanha“ stellt dabei tatsächlich einen neuen Ansatz in Form und Inhalt dar. Musikalisch verstärkt der Einsatz von Chören (an denen der Komponist selbst mitwirkt) ein Gefühl der Kollektivität und erinnert zusammen mit einer ausgeprägten Perkussion sofort an einige portugiesische Cantautoren aus den 1970er Jahren. Auch der lyrische Ansatz ändert sich: Die abstrakten und melancholischen Gefühle, die in Leãos Werk so gut dargestellt werden, weichen hier einer direkteren Sprache, die mit einer schwierigen, aber wahren Realität in Dialog tritt. Die Texte erzählen von unterdrückten Frauen mit dem Wunsch nach Befreiung (Guarda-te), von Menschen, die nach sich selbst suchen (Andava Eu, Estranho Imperfeito), der harten Arbeit auf See (Lobos do Mar) oder Charakteren, die mit ihrer Sterblichkeit und Freiheit kämpfen. Wie üblich stammt der Großteil der Texte von Ana Carolina Costa, mit Ausnahme von Gito Lima (Estranho Imperfeito), Francisco Menezes (Esperança) und João Pedro Diniz (Vento Sem Fim). Am Ende bleibt ein Aufruf zum Handeln, um sich von den Fesseln des Alltags zu befreien - ein Kampf, der es wert ist, sich ihm zu stellen und der den Hoffnungsschimmer am Horizont nie aufgibt.
Rodrigo Leãos kreative Welt war schon immer eng mit Zuneigung verbunden, sei es durch Familie oder Freunde. Es überrascht nicht, dass auf diesem Album neue und alte Komplizen auftauchen, wie Pedro Oliveira (ein Freund aus Kindertagen, Sänger bei Sétima Legião und Co-Produzent des Albums). Am Akkordeon ist Gabriel Gomes mit dabei, ein Freund aus verschiedenen Projekten (Sétima Legião, Madredeus und Os Poetas). Daneben gibt es auch Platz für Gäste wie José Peixoto (klassische Gitarre), Carlos Poeiras (Akkordeon), Francisco Palma (Gesang) oder den Illustrator Tiago Manuel. Auch seine engste Familie wirkt mit: Seiner Frau Ana Carolina Costa schrieb einen Großteil der Texte und auch seine Kinder Sofia, Rosa und António sind auf der CD zu hören. Alle Musiker, die Leão für sein neues Album engagiert hat, spiegeln jahrelange Arbeit und Verbundenheit wider: Sängerin Ana Vieira – die Hauptstimme der CD – Viviena Tupikova (Violine), Bruno Silva (Bratsche), Celina da Piedade (Akkordeon), Carlos Tony Gomes (Cello und Autor der Streicherarrangements), João Eleutério (Gitarre, Bass und Synthesizer), António Quintino (Kontrabass) und Frederico Gracias (Schlagzeug und Percussion).
Es wäre falsch zu sagen, dass O Rapaz da Montanha eine Revolution in Rodrigo Leãos musikalischem Universum darstellt. Vielmehr handelt es sich um eine konsequente Weiterentwicklung, die zwar Veränderungen mit sich bringt, aber keinen Millimeter der musikalischen Identität des Komponisten aufgibt. Trotz seiner bereits langen und bemerkenswerten Karriere sind Unruhe und Neugier in Rodrigo Leão nach wie vor lebendig. O Rapaz da Montanha ist ein weiterer schöner Beweis dafür. Es liegt an uns, zuzuhören und dankbar zu sein.
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